Männermode: Starre Rollenbilder – bitte wegtreten!

Einst erkämpfte sich Luka Maurer seine Stellung in Londons Massschneider-Mekka mit der Waffe des Mutes, indem er von Tür zu Tür tingelte. Heute entsendet er eine ganze Armada an Designideen, um Rollenbilder aufzuweichen.


«Moment, bitte», sagt Luka Maurer in den Hörer und ruft seinen beiden Kindern einen kurzen Satz in seiner Muttersprache Französisch zu. Dann überlegt er laut, wie er auf die Frage antworten soll, wann sein erster bewusster «Mode-Moment» gewesen sei. Schon in der Schule sollte er sich in «Schubladen einpassen». «Darin war ich nicht gut», lacht er. Aufgewachsen im kontemplativen Kleinod Porrentruy, dem das aristokratische Erbe noch in den Gemäuern

steckt, war Luka Maurer oft auf sich alleine gestellt. Während sich seine Eltern für ihre Bäckerei abrackerten, schuf er

sich seine eigene Heroen-Welt zwischen den Deckeln seines Skizzenbuchs. «Als Junge habe ich Superhelden gezeichnet, jetzt tue ich dasselbe, aber in 3D», erklärt Luka. Über Umwege fand er Zugang zur Gestaltung, er war einer der damals wenigen Männer, die Modedesign studierten und legte sich früh auf Herrenmode fest. Er sei von Frauen erzogen worden, darin gründe sein tiefer Respekt für sie: «Ich habe mich immer davor gefürchtet, sie durch meine Entwürfe hässlich aussehen zu lassen.» Bei Mode für Männer traue er sich, sich auszutoben und fühle sich frei. Mit dieser Experimentierfreude näherte er sich seiner sinnlichen Vision von Maskulinität, die sich nicht für feminine Facetten geniert, sondern sie akzentuiert. Fest entschlossen, die klassische Herrenschneiderei von der Pike auf zu

lernen, buchte er einen Flug nach London. Der damals 25-Jährige bekleidete einen Freund mit einem seiner Couture-Looks und klapperte mit ihm als wandelndes Schaustück die nobelsten Adressen der Savile Row ab, der geschichtsträchtigen Massschneidergasse.


Luka Maurer kritzelte schon als Kind Superhelden: Er modernisiert das Schneiderhandwerk und charakterisiert zartfühlende «Kraftprotze».


«Beim Schneidern ist es wie beim Tangotanzen ... »

Die Stoffhandwerker gaben sich zugeknöpft. Einer nach dem anderen wies den faustischen Jungspund, der so unbekümmert an der Edelholztür zu ihrem konservativen Kosmos klopfte, höflich, aber bestimmt ab. Doch auf einmal

erblickte er Ozwald Boateng auf der anderen Strassenseite, berühmt für auffällige Anzüge in handwerklicher Perfektion. Er nahm die «Jetzt oder nie»-Attitüde ein, sprach ihn an und die Tailoring-Ikone schickte ihn in seine Boutique, wo er sein Dossier hinterlegte. Luka reiste von der Metropole zurück ins Dorf. Zwei Wochen später dann erreichte ihn ein Anruf aus England: Ozwald Boateng engagierte ihn als Assistent. «Das ist, was ich meinen Studierenden weitergebe», erzählt Luka, der heute an der «HEAD» in Genf doziert, «eine Mail versenden reicht heutzutage erst recht nicht aus, um seine Ziele zu erreichen.» Bei Ozwald Boateng erlebte er hautnah mit, welche Kraft ein massgefertigtes Sakko innehat: Streifte ein Mann es über seine Schultern, schien es ihn zu transformieren. Uniformtypische Attribute seien so tief im gesellschaftlichen Gedächtnis verankert, «dass man auf einen Plastiksack Epauletten montieren kann und schon erkennt man darin eine Uniform», treibt es der Modedesigner auf die Spitze. Später drillte er in Berlin bei einem Meisterschneider seine Skills in der Schnittarchitektur. «Beim Schneidern ist es wie beim Tangotanzen: Sobald man die Grundschritte verinnerlicht hat, kann man improvisieren, man entwickelt ein Gefühl dafür», veranschaulicht er – und weiss, wovon er spricht. Tatsächlich tanzte der Jurassier früher Tango.



Messieurs dazu ermutigen, sich mit ihrer Feminität zu verbünden

Beim Stöbern in einem Berliner Antiquariat fiel ihm schliesslich eine Buchreihe in die Hände, die von Wehrkleidern französischer Gardesoldaten im 18. Jahrhundert handelte. In kostbare Materialien gehüllt und – wortwörtlich «hochdekoriert» – zogen sie in den Krieg, in Seide, Bändern und Spitzenwerk. Was ihm die Druckwerke erzählten,

erschien ihm wie ein Marschbefehl für seine eigene Marke, die er kurz darauf in der Heimat gründete: «Garnison» bezeichnet den Standort einer Besatzungstruppe. Seine Designs schweifen über den dreiteiligen Anzug hinaus, hin zur soften Avantgarde, fernab des Wolkenkratzer-Arbeitsgewands. Wie er harte Silhouetten mit feinen Textilien durchbricht, ist ein durchwegs feudaler Frontalangriff auf Festgefahrenes. Er rekrutiert die «Uniformträger» mit Sturm und Drang nach Individualismus. Mit seinen Modellen ermutigt der 33-Jährige Messieurs dazu, sich mit ihrer

Feminität zu verbünden, anstatt sie weg zu kommandieren. «Auch die feminine Seite auszuleben, unterstreicht die männliche », ist er überzeugt und wird nicht müde, zu betonen, dies sei seine Anschauung. Er balanciert seine Entwürfe zwischen zart und hart aus, und weiss zu vermeiden, zu stark auf eine Seite zu kippen. Sensibel vermischt und verwischt er die gängigen Geschlechtermerkmale und findet, «diesbezüglich ist in der Gesellschaft noch viel zu tun.» Schliesslich spielt der moderne Mann morgens mit seinen Kindern, entwirft nachmittags Prêt-à-porter und prostet

abends seinen Kumpels beim Bier zu in der einzigen Bar von Porrentury – und dazwischen führt er ein Telefoninterview. «Stillgestanden!» heisst es hier noch lange nicht.

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